Karl Heinz Riegl schildert sein unvergessliches Abenteuer durch brennend heißen Wüstensand.
Nach viermonatiger Vorbereitung war es dann endlich soweit! Zahlreiche Trainingsstunden am Laufband in der Sauna, unzählige Trainingskilometer im Gelände und viele Stunden in der Kraftkammer lagen hinter mir. Mein neues Trainingsprogramm, zwei erfolgreich absolvierte Trainingswettkämpfe und die Umstellung auf einen völlig abgeänderten Ernährungsplan erweckten in mir viel Optimismus und Zuversicht für mein heuriges Highlight, den „Desert Ultra“ in Namibia …
Kurz vor Einbruch der Schlechtwetterperiode ging mein Flug ins heiße Namibia und endete in Windhoek, wo der Sammelpunkt der Teilnehmer für dieses Rennen war. Da ich einige Tage vorher angereist war, blieb mir noch Zeit mich zu akklimatisieren, mir die Gegend etwas anzusehen und den Alltagsstress hinter mir zu lassen.
Treffpunkt am 19.11.2018 – 06:00 Uhr beim Busparkplatz „soundso“ – schön langsam schälten sich die Teilnehmer aus ihren Quartieren, unsere „Medics“ wurden uns vorgestellt und nach einem kurzen Frühstück ging es auf eine fünfstündige Busfahrt in Richtung „no-mans-land“, Richtung erstem Camp Platz bei den Spitzkoppe Mountains. Ab da waren wir mittels unserer mitgeführten Ausrüstung und Verpflegung auf uns allein gestellt. Nur Wasser an den Checkpoints und abends ein Zelt zum Schlafen erwarteten uns nun noch. Besprechung, kurze Unterweisung, Kit Check der vorgeschriebenen Ausrüstungsgegenstände und die Vorbereitungen für die Nacht erfolgten bereits automatisiert …
06:00 Uhr Tagwache, ein rasches Frühstück und der Blick zum bewölkten Himmel ließen die Hoffnung aufkommen, dass es an diesem ersten Tag doch nicht so heiß werden würde wie vorhergesagt. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto erfolgte um Punkt 08:00 Uhr der Start zu unserem fünftägigen und 250 km langen Abenteuer.
Hoch motiviert, dieses Mal streng nach Pulslimit laufend, den Ernährungsplan akribisch einhaltend ließ ich einige Mitstreiter passieren. Der Tag würde noch lange werden und die geplanten 52 km würden uns auch noch einiges an Zeit und Kraft abverlangen. Es war ja auch erst der erste Tag ….
Durch etwas langsameres, aber konstantes Tempo konnte ich mich nach vier Stunden Laufzeit auf dem vierten Platz wiederfinden, als das bereit überwunden gedachte Problem mit meinem Magen plötzlich wieder unverhofft, aber umso gewaltiger meine Verdauung in „alle Richtungen“ negativ beeinflusste. Nach einer kurzen Resignation über das scheinbar unbezwingbare Problem der Vergangenheit, zwang ich mich aber dieses Mal zwar langsamer, aber dennoch weiterzulaufen. Den Puls nochmals um zehn Schläge nach unten holend, versuchte ich mangels ausreichender Nahrungsaufnahme die „Fettreserven“ meines Körpers als Treibstoff zu nutzen. Einige Nüsse und salzige Chips halfen mir über die Runden.
Die folgende Nacht war vom Intervallschlafen wegen des Versuches der Nahrungsaufnahme in Kleinstmengen geprägt, als es dann auch nach einer kurzen Tiefschlafphase schon wieder auf die zweite Etappe, auf weitere 48 km ging. Der zweite Tag war gezeichnet von abwechselndem Schüttelfrost mit Hitzestau, so gut wie keiner nachhaltigen Ernährung aber mit dem eisernen Willen, es irgendwie zu schaffen. So pendelte ich auch am dritten Tag zwischen Platz sieben und neun hin und her. Doch dieser dritte Tag zeigte uns mit aller Härte was 54 Grad Celsius im Schatten in der Wüste bedeuten können. Nur mehr auf meine Salz- und Elektrolytzufuhr achtgebend verschlang ich an diesem Tag 14 Liter Trinkwasser. Die immer stärker werdenden Magenschmerzen, das unbändige Hungergefühl und der wegen dem ständigen Brechreiz sich abzeichnende Bauchmuskelkater machten das Laufen nicht gerade einfacher. Stellenweiser tiefer Sand in Abwechslung mit Geröll und Steppengras lockerten den Laufrhythmus etwas auf. Die in der Ferne vorbeilaufenden Springböcke, Elefanten und einmal sogar auch Oryxe (hirschgroße, toll gezeichnete Antilopenart) bemerkte ich kaum.
Mein anfangs 8 kg (plus Wasser) schwerer Rucksack wurde auch von Stunde zu Stunde leichter. Was ich nicht erfolglos an Nahrung zu mir nahm, wurde von mir entweder für die „Tierwelt gespendet“ oder bei den Checkpoints an die „Lokals“ verschenkt. Gerade so viel, dass ich die vorgeschriebene Mindestmenge an Kalorien bei mir hatte. Ziel war es, mich irgendwie in den vierten Tag zu retten, denn da waren nur 22 km am Tagesplan.
Ich schaffte das zwar, konnte mich auch etwas besser erholen aber die nun folgenden 22 km waren die reinste Hölle. Nicht nur wegen der hohen Temperaturen – wieder 53 – 54 Grad – sondern die absolute Windstille und die andauernd ansteigende Laufstrecke, gepaart mit dem ständigen Defizit an benötigten Kalorien und den bereits 150 gelaufenen Kilometern in den Beinen erforderten meine letzte Selbstmotivationsreserven um nicht wieder aufgeben zu müssen. Dieser auch scheinbar von den „Medics“ erkennbare Wille, hinderte sie auch daran, mich abermals aus dem Rennen zu nehmen. Obwohl meine medizinische Überwachung nun doch um einiges intensiver als üblich wurde! „Meine“ mir bereits vom letzten Jahr bekannten und lieb gewonnen Ranger an den Checkpoints versorgten mich helfender Weise mit eiskaltem Wasser, was auch zu einer kurzfristigen Verbesserung meiner Magenschmerzen führte. So konnte ich völlig erschöpft, aber glücklich auch den vierten Lauftag erfolgreich absolvieren.
Nun hieß es schlafen, essen wie ein Küken, schlafen, trinken, trinken und nochmals trinken, dann am nächsten Morgen ging es um 04:00 Uhr auf die letzte Etappe über 92 km Richtung Ziel.
Ganz langsam, mein Innerstes abhorchend, startete ich gemächlich und versuchte die wenigen Zeiträume, in denen es mir etwas besser ging, vorsichtig zu pushen, um dann danach wieder in meinen Rational Modus zurück zu verfallen. So pendelte ich zwischen Wohlfühlphase und Pushen hin und her und versuchte nur mehr so heil wie möglich die Nacht zu erreichen, um dann nochmals einen „zaghaften Angriff“ zu wagen. Unter Aufbietung der absolut letzten Kraftreserven konnte ich noch zwei Mitstreiter überholen und den Abstand zu ihnen sogar noch ausbauen. Im Schein der Stirnlampe, immer wieder die grüngelben Augen diverser Wildtiere erkennend, stolperte ich die letzten Kilometer durch die Dunkelheit. Um dann nach 18 Stunden und 15 Minuten das Ziel, wie sich später herausstellte als Zehnter, zu erreichen. Medics, Organisationspersonal und die vor mir ins Ziel gekommenen Läufer empfingen mich mit großem Applaus, was mich meine Schmerzen und Torturen kurzfristig vergessen ließen. Als es dann noch eisgekühltes Bier als Zielgeschenk gab, war der Tag gerettet und ich verfiel nach einer kurzen Jubelphase in einen wohligen, warmen und erholsamen Schlaf mit angenehmen Träumen.
Jetzt, einige Wochen nach diesem Wettkampf, überkommt mich noch immer manchmal das gleiche Gefühl, welches mich in der Namib den Alltag vergessen machte und mein Erfolgserlebnis mit Endorphinen verstärkt hatte.
Platz 10 gesamt
Platz 6 Men overall
Platz 1 Altersgruppe 50+
… ist die Ausbeute dieses für mich unvergesslichen Abenteuers!